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Wandern zum Obelisk bei Bad Harzburg                                                                          25.03.2017 In der Zukunft, so stelle ich mir vor, wird man auch Landkarten verbessert haben. Auch jene kleinen Faltkarten, die man sich anschaut, wenn man eine Wanderung plant. Das habe ich nämlich getan und mir gemerkt, vom Parkplatz am Berliner Platz in Bad Harzburg bis zum deutschen Kreuz des Ostens, sind es nur vier Kilometer. Das müsste zu schaffen sein und wenn die Zeit nicht reicht, dann bestimmt bis zur Aussichtsplattform an der ehemaligen Harzburg. Das Kreuz des Ostens steht auf 550 Metern, die Aussicht vom Burgberg, wo vor Jahrhunderten die stolze Harzburg stand, kann man schon aus 450 Metern genießen. Das ist der Plan und deshalb findet am frühen Samstagnachmittag in Harzburg eine Familienzusammenführung statt: Oma und Opa, Tochter und Sohn mit Frau, zwei Kindergartenzwerge sowie ein Baby. Wir sind komplett und wagen, direkt vom Parkplatz aus, den Aufstieg. Schon nach wenigen Minuten, in der Kurve an Burgberg-Gymnasium, bemerke ich, dass die Karte ein wenig gelogen hat. Darauf sind zwar Zahlen zu lesen, die die Höhenmeter anzeigen, sehen kann man den Unterschied leider nicht. Bei der Planung lässt man ihn vollständig außen vor und verschätzt sich prompt. Faltkarten der Zukunft sollten sich so öffnen lassen, damit auch das Profil dreidimensional mit einem Blick zu erkennen ist. Hinter der Kurve führt der Wanderweg nämlich ziemlich steil bergan und der Straßenlärm wird nach und nach von den Bäumen verschluckt. Das Straßenband unten kann man jetzt bestenfalls noch ahnen. Mein Sohn hat den Kinderwagen längst schon wieder zurück zum Auto gebracht. Der jüngste Spross im Stammbaum wird inzwischen, in ein Tuch eingewickelt, huckepack transportiert. Unsere kleine Lily rennt zwischen der Spitzengruppe und mir, der ich gern Details zum Fotografieren entdecke, hin und her. Auf diese Weise wird sie am Ende des Tages wahrscheinlich die dreifache Strecke gerannt sein, aber das kennen wir schon.                                                                  zum Vergrößern die Fotos bitte anklicken Auf ungefähr halber Höhe wird der Weg steinig. Lily sucht sich den Rand zum Laufen, ich spüre viele spitze Kanten unter den Fußsohlen und schwitze mich Schritt für Schritt, aber kontinuierlich, auf den Berg. Unter meiner Jacke fechten Temperatur und Feuchtigkeit einen gemeinsamen Wettbewerb aus. Am Steilhang ist ein wuchtiger Metallmast im Fels verankert, über den sich Stahlseile ziehen. An dieser Stelle unterqueren wir die Burgberg-Seilbahn, deren Schneise, steil von unten kommend, direkt bis zur Anlage der ehemaligen Harzburg auf dem Gipfel führt. Auf diesem Plateau gibt es eine Gaststätte, auf deren Besuch wir uns schon heimlich freuen. Inzwischen habe ich auch gelernt, dass es am besten ist, seinen eigenen Rhythmus zu finden und zu laufen, will man nicht aus selbigen gebracht werden. Also stampfe ich weiter, wie das Uhrwerk einer alten Standuhr, langsam und stur dem Plateau entgegen und bin tatsächlich als Erster am Antoniusplatz auf 461 Höhenmetern. An dieser Kreuzung führen die Routen zu ganz verschiedenen Zielen weiter. Mein Familientross trudelt nach und nach ebenfalls ein. Von hier sind es nur noch zwei weitere Kilometer, und kaum bergan, bis zum Kreuz des Ostens, denn die meisten Höhenmeter liegen bereits hinter bzw. unter uns. Allein wäre das machbar, mit unserem jüngsten Anhang wird das heute nichts mehr, denke ich. Es ist beste Kaffeezeit und strahlend blauer Himmel über uns. Man kann über den westlichen Harz bis zum Bocken blicken, so wie ihn die Wessis jahrzehntelang nur sahen. Ganz in der Nähe und doch ganz weit weg, so wie für uns Ost- Geborene leider auch. Nur eben aus der anderen Richtung und ebenfalls unerreichbar für Heimische und Besucher. Solche Zeiten sind glücklicherweise vorüber und jeder kann den Berg, per pedes oder auf anderen Wegen, besuchen. In diesen Minuten wird mir wieder einmal bewusst, was es für ein historisches Privileg war, diese Zeiten der Veränderungen selbst miterlebt zu haben und wie schön es ist, nun hier auf dem Burgberg „im Westen“ zu stehen und freien Blick in alle Richtungen genießen zu können. Wir schauen uns auf dem Plateau um, auf dem einst eine stolze Burg über die Siedlung im Tal wachte. Die Reste der alten Anlage sind noch zu erkennen. Man geht durch den steinernen Torbogen und ich besteige den Stumpf eines einstigen Wachturmes. Von hier aus sehe ich einen Ballon, der hoch oben über der Berglandschaft mit dem Brocken schwebt. Beim Abstieg auf der Holzstiege, stelle ich mir die Tasse Kaffee vor, die ich gleich in der Gaststätte trinken werde. Die hat jedoch geschlossen und dann ist mir auch klar, warum die Seilbahn noch keine Gäste befördert. Fehlt nur noch, dass an der Pforte „Heute Ruhetag“ zu lesen wäre, um all die Nachwendejahre, für einen Moment, wieder vergessen zu machen.                                                                     zum Vergrößern die Fotos bitte anklicken Mit dem Grinsen eines Ostgeborenen im Gesicht lasse ich den „Ruhetag“ hinter mir. Vor mir liegt ein kleines Plateau mit der 19 Meter hohen Canossa-Säule aus Stein im Zentrum. Ein Obelisk, der in der Dunkelheit sogar angestrahlt wird. Von hier hat man eine faszinierende Aussicht in die weite Ebene darunter. Der Blick auf Bad Harzburg und die Landschaft des Harzvorlandes entschädigt für die Mühen des Aufstieges und für eine geschlossene Tür einer Gastronomieeinrichtung. Ich stehe am Rand einer halbrunden Plattform mit Bänken darauf und einem Panoramablick bis zum Horizont vor mir. Jedes Haus, jede Straße, jedes Feld und fast jede andere Kleinigkeit liegen, wie auf einem Präsentierteller, vor dem Betrachter, der sich nicht satt sehen kann. Auch ich stehe staunend, folge dem Verlauf der Straßen und den Fahrzeugen, die sich darauf bewegen. Man erkennt den Bogen der Bundesstraße 6 vor Bad Harzburg, den Abzweig hinüber zur alten Kaiserstadt Goslar und wo die Bundesstraße hinter den aufsteigenden Bergen entschwindet.                                                                     zum Vergrößern die Fotos bitte anklicken Auf der anderen Seite versperren Berge den weiten Blick. Auf deren höchsten Punkt ist, gut sichtbar, das Deutsche Kreuz des Ostens zu erblicken. Der geschichtliche Teil mit den „verlorenen Ostgebieten“ bereitet mir Bauchschmerzen, der Blick von dort auf die Stadt, die sich förmlich in die Berge hinein zu drängen scheint, muss aber einfach überwältigend sein. Doch dazu wird es heute, mit zwei Kindern und einem Baby im Schlepptau, nicht mehr kommen. Kein Problem, der ganze Familienclan ist hier zu Hause und wir genießen es, den nächsten schönen Tag für die nächste gemeinsame Unternehmung nutzen zu können. Und während mir diese Gedanken durch den Kopf gehen, schweift mein Blick vom Kreuz des Ostens, über die Ebene, die Stadt, folgt der B 6 bis sie endlich, hinter den auslaufenden Bergen, in Richtung Goslar entschwindet. Auf einmal ist alles so vertraut, so nah und so angenehm schön! Meine Kinder sind bei mir, die Enkelkinder toben, schreien und sehen glücklich aus, dass ich beim Anblick des Panoramas zu meinen Füßen ein tiefes Gefühl der Ruhe in mir fühle. Angekommen? Angekommen, aber noch lange nicht am Ende und noch so viel zu entdecken. Eigentlich ist es Glück, dass hier oben heute „Ruhetag“ ist. Wir treffen auf nur wenige Besucher und die Aussicht ist ein ruhiges Genießen ohne Biergartenlärm. Den trotzigen Schrei eines der Enkelkinder kann der Rock-Opa inzwischen locker ignorieren und die kalte Hand des anderen Knirpses schützend mit seinen warmen Händen umschließen. Mein Glück ist es, das ich jetzt genießen kann und sicher ist das ein Stück Glückseeligkeit, die man erst im beginnenden Alter bewusst zu erkennen bereit ist. Mir jedenfalls ist in diesen Minuten so und dann beginnt der Abstieg. Wieder Schritt für Schritt, aber mit jedem Meter abwärts auch ein wenig langsamer, weil die vom Winter eingefrorenen Knochen sich erst wieder langsam an diese Art der Fortbewegung gewöhnen müssen. Als wir unten alle wieder vereint sind, bin ich müde, glücklich und trage die Gewissheit in mir, dass der nächste Trip in die Berge schon bald sein wird. Bis dahin werde ich auch den Muskelkater von heute vergessen und neue Lust auf die Berge getankt haben. Das Lesen einer Wanderkarte aber, wird stets wieder neue Überraschungen mit sich bringen. Da bin ich mir ganz sicher.
                                      Ich bin der  RockRentner im Harz
          und berichte hier von meinen Wanderungen, Begegnungen und Erlebnissen (nicht nur) im Harz.